Das persönliche Gebet und die lectio divina
Können freundschaftliche Beziehungen gepflegt werden, ohne ihnen Zeit zu widmen? Die Mönche richten also ihren Tagesablauf entsprechend ein – jeder nach seinem Rhythmus, da es sich um eine persönliche Beschäftigung handelt –, indem sie dem Gebet vor dem Allerheiligsten im Laufe des Tages viel Zeit einräumen.
„Menschen strömten von überall herbei. Sie alle wollten ihn hören und von ihren Krankheiten geheilt werden. Doch er zog sich an einen einsamen Ort zurück, um zu beten.“
(Evangelium nach Lukas, 5,15-16)
Von unseren Älteren haben wir gelernt, lange Zeit in einer Haltung des Glaubens zu verharren, nur mit einem Vokalgebet, Anrufungen oder einer Lektüre beschäftigt. Um dem allgegenwärtigen Herrn gegenüber aufmerksam zu bleiben, gibt es eine bestimmte Vorgehensweise, die jeder gemäß seiner persönlichen Gnade, geleitet von einem Älteren, entdeckt.
Das persönliche Gebet der Mönche gründet sich wie das eines jeden frommen Christen, der sich regelmäßig Zeit für die Begegnung mit unserem Herrn Jesus Christus nimmt, zumeist auf einen Akt des Glaubens, bei dem Gefühle außen vor sind. Sie widmen ihre Zeit Gott in dem Glauben, dass Gott sich ihnen widmen wird. Andächtig betrachten die Mönche den Tabernakel oder nehmen ein Buch zu Hilfe, um ihre Aufmerksamkeit zu fördern, indem sie einige Seiten lesen, gefolgt von Perioden der Stille und einem kurzen Gebet, das sie von Zeit zu Zeit murmeln. Es ist das Gebet des Armen, ein demütiges Gebet, wie es Gott gefällt.
„Lasset nichts und niemanden euer Herz besetzen als Gott allein“,
schreibt der heilige Theophan von Tambow.
Selbst wenn sie arbeiten, lernen die Mönche den ganzen Tag über, ihren Versuchungen, Verfehlungen oder Gefühlsregungen und auch der Zeit, die sie mit Belanglosigkeiten vergeuden, eine Anrufung oder ein kurzes Gebet entgegenzusetzen.
„Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern zögern?“
(Evangelium nach Lukas, 18,7)
Die lectio divina ist eine Art Lesung ohne Eile, welche die gesamte Person fordert und ihr hilft, mit Gott in Verbindung zu treten. Diese Lesung erfolgt in einer Atmosphäre voller Andacht und ist durchwoben von Gebeten. Es geht nicht um die Aufnahme von Wissen zu verschiedenen Themen. Es ist eine auf die Kommunion mit Gott ausgerichtete Lesung. Hierbei geht es nicht darum, nachzusinnen, sondern zuzustimmen.
„Denn du kennst von Kindheit an die heiligen Schriften, die dir Weisheit verleihen können, damit du durch den Glauben an Christus Jesus gerettet wirst. Jede von Gott eingegebene Schrift ist auch nützlich zur Belehrung, zur Widerlegung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit; so wird der Mensch Gottes zu jedem guten Werk bereit und gerüstet sein.“
(Zweiter Brief an Timotheus, 3,15-17)
In den ersten Jahrhunderten lasen die Mönche ausschließlich die Bibel oder sagten sie auswendig auf. Zu Lebzeiten des heiligen Benedikt hatten die Kirchenväter einen Platz in der lectio divina. Erst in der modernen Zeit wurde zwischen lectio divina und „geistlicher Lektüre“ unterschieden. Heute ist die Lektüre der Mönche sehr breit gefächert: Das Wort Gottes, alles, was es ermöglicht, es in Wahrheit zu hören, alles, was es ermöglicht, menschliche und geistliche Erfahrungen im Hinblick auf die Einheit mit Gott zu sammeln.
So, wie Jesus, unser Herr, das Zentrum des Lebens eines Mönchs bildet, so ist die Jungfrau Maria dessen Herz. Mütterliche Gegenwart, starke Fürsprecherin, Zuflucht angesichts so mancher Sorgen, Prüfungen, Unbilden … Als beispielhaftes Vorbild verstand sie es als erste, eine unverhoffte Berufung anzunehmen. Sie lebt an der Seite ihres Sohnes und führt uns zu Ihm.
„Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben.“
(Evangelium nach Lukas, 1,30-31)